Der Verein für Verbesserung der Frauenkleidung und Reformmode in Dresden

Der Verein für Verbesserung der Frauenkleidung und Reformmode in Dresden

Text: Friederike Berger

Auch wenn wir heute rückblickend von „der“ Reformmodebewegung sprechen, war diese Bewegung keine einheitliche oder geschlossene. Verschiedene Menschen und Gruppierungen hatten aus zum Teil unterschiedlichen Gründen ein Interesse an einer Reform der Mode. Um einen Teil dieser Bewegung soll es im Folgenden explizit gehen: Modereformerinnen* in Frauen*vereinen im Deutschen Reich, vor allem in Dresden.

Der Verein für Verbesserung der Frauenkleidung wurde am 11. Oktober 1896 in Berlin im Zuge des Internationalen Kongreß für Frauenwerke und Frauenbestrebungen ins Leben gerufen. Erklärtes Ziel war es, „über die Notwendigkeit einer gesunden und bequemen Kleidung aufzuklären und zu ihrer Akzeptanz beizutragen.“[1] Die verbesserte Frauenkleidung sollte dem Vereinsmotto, „Gesund, praktisch, schön!“ folgen und „augenfällig zeigen, dass wir denkende Wesen sind“[2], so die erste Vorsitzende Dr. Sera Proelss. Die zweite Vorsitzende war Margarete Pochhammer.

Im internationalen Kontext erfolgte die Entstehung eines solchen Vereins im Deutschen Reich recht spät: Bereits 1856 wurde in den USA eine National Dress Reform Association gegründet, in England folgte 1881 die Rational Dress Society.[3] Dabei ging es in den Vereinen nicht nur um Erneuerung der Kleidung, sondern auch um die Infragestellung der Hierarchie der Geschlechter in der Gesellschaft, und wie diese durch Kleidung repräsentiert wurde.[4]

Nach der Vereinsgründung in Berlin folgte in Dresden 1897 eine zweite deutsche Initiative: Der Dresdner Ortsverein wurde von Wilhelmine Schubart, dem Kinderarzt Dr. Richard Flachs, dem Maler Walter Wittig und weiteren 25 Personen gegründet. Ella Law stand dem Ortsverein seit seiner Gründung bis 1928 vor, Anna Kühn war die Schriftführerin.[5]

Weitere Städte folgten dem Vorbild, sodass im selben Jahr mit dem Allgemeinen Verein für Verbesserung der Frauenkleidung eine Dachorganisation entstand. Den Vereinsvorsitz übernahm Margarete Pochhammer, die bereits dem Berliner Verein vorstand. Der Dresdner Maler Walter Wittig wurde künstlerischer Beirat.[6] Die Vorständ*innen oder Vertreter*innen der Ortsvereine trafen sich auf jährlichen Delegiertenversammlungen. Der Berliner und der Dresdner Ortsverein waren in dieser Zeit die größten mit über 200 Mitgliedern.[7]

1902 spaltete sich der Allgemeine Verein: Ein Teil schloss sich dem Deutschen Verein für Volkshygiene an, ein anderer Teil – u.a. der Leipziger und der Dresdner Lokalverein – organisierte sich als Freie Vereinigung für Verbesserung der Frauenkleidung. Die Freie Vereinigung wurde 1903 in Dresden gegründet, die mit Beitritt von Polnischen, Holländischen und Englischen Vereinen international wurde.[8]

Ein geschäftsführender Ortsverein mit mindestens 100 Mitgliedern wurde für ein Jahr auf der Delegiertenversammlung der Freien Vereinigung gewählt. Im Gründungsjahr 1903 bis 1906 war dieser sogenannte Hauptort und auch Sitz der Zeitungsredaktion Dresden, beides unter der Leitung von Ella Law. Ella Law war sowohl auf eine gesundheitliche als auch auf eine ästhetische Reform der Kleidung bedacht.

Ein Fokus der Freien Vereinigung war eine „körperliche Ausbildung“ für Frauen*, die nach jahrelangem Korsett-tragen den Körper stärken sollte, nach Vorbild des Tanzstils Isadora Duncans sowie Turnunterricht für Mädchen.[9] Für diesen Ansatz war sicherlich die Nähe zur Gartenstadt Hellerau relevant, wo der Geist der Lebensreformbewegung 1911 zur Grundsteinlegung für die Bildungsanstalt für Musik und Rhythmus von Émile Jaques-Dalcroze führte. Fraglich ist, ob mit der „körperlichen Ausbildung“ der Mädchen nicht auch eine ästhetische Körpermodellierung durch Sport anstelle durch Korsett impliziert war.

Eine Tagung im Mai 1907 in München führte wieder zur Formierung eines nationalen Dachverbands, dem Deutschen Verband für Verbesserung der Frauenkleidung. Den Vorsitz des Deutschen Verbandes übernahm die Leipzigerin Fanny Goetz. Gleichzeitig wurde auch ein Internationaler Verband für Verbesserung der Frauenkleidung initiiert, dessen Vertretung neben Fanny Goetz und Johanna Kersten aus Haarlem wieder Ella Law aus Dresden übernahm.[10] Damit kann Dresden Anfang des 20. Jahrhunderts nicht nur als eines der Zentren der Kunst und des Kunstgewerbes gelten, sondern auch als eines der Reformmodebewegung. Neben der Königlich Sächsische Kunstgewerbeschule, der Gartenstadt sowie den Deutschen Werkstätten Hellerau (damals Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst) begünstigte auch das Lahmann-Sanatorium den Standort Dresden für die Vereinsaktivitäten. Es gab in Dresden viele Gelegenheiten und Orte für Vernetzung über Treffen, Vorträge und Ausstellungen mit größerer Reichweite, beispielsweise bereits bei der Internationalen Kunstausstellung Dresden 1901, für die der Lokalverein die Abteilung Frauenkleidung nach Künstlerentwürfen bespielte, der 3. Deutschen Kunstgewerbeausstellung am 12. Mai 1906 oder 1911 bei der Internationalen Hygiene-Ausstellung.

Bei der Kunstgewerbeausstellung 1906 zeigte die Freie Vereinigung in einem Laden, der von der Kunstgewerblerin Gertrud Kleinhempel gestaltet wurde, ausgewählte Kleider, Blusen, Unterbekleidung aber auch Schuhe, Accessoires und Stoffe sowie Modefotografien. Vereinigungsmitglieder gaben Führungen durch den Laden und berieten Interessierte. Es wurde auch verkauft und auf Anfrage bestellt.[11]  Die Teilnahme der Freien Vereinigung an der 3. Deutschen Kunstgewerbeausstellung zeigt, wie praktisch orientiert dessen Öffentlichkeitsarbeit war. Es ging ihr nicht nur um eine theoretische Vermittlung der ästhetischen und gesundheitlichen Reformmodeideale, sondern um eine praktische Umsetzung dieser und die Aufwertung der Kleidung als Metier des Kunstgewerbes. Gleichzeitig unterstützte die Freie Vereinigung mit diesen Verkaufsausstellungen die Arbeit vieler lokaler Firmen und Schneiderinnen und sorgte somit dafür, dass reformierte Mode und Unterbekleidung in der Stadt leicht erhältlich waren.[12] Die Dresdner Ortsgruppe veröffentlichte sogar Firmenverzeichnisse, in denen zahlreiche Anbieter*innen von Reformmodeartikeln aufgeführt wurden. In Dresden alleine nennt ein Verzeichnis aus dem Jahr 1902 15 Adressen.[13] Neben Modeatelliers wie Auguste Berger oder Ida Richter und Schneidermeistern wie W. Stiefler waren auch Kaufhäuser wie C. G. Heinrich in der Grunaer Straße und das Modewarenhaus Renner und Au petit Bazar am Altmarkt vertreten. Aus diesen Verzeichnissen und Anzeigen in den Vereinsmitteilungen geht hervor, dass Reformmode zu seiner Zeit kein so kleines Thema war, zu dem es häufig gemacht wird.

Die gesundheitlichen Ziele der Bewegung repräsentierte der Deutsche Verband für Verbesserung der Frauenkleidung massenwirksam auf der Internationalen Hygiene-Ausstellung Dresden 1911. Für die Teilnahme machte sich besonders Ella Law auf der 3. Delegiertenversammlung des Verbands im Juni 1910 in Leipzig stark[14] und übernahm einen großen Teil der Organisation. Die Hygiene-Ausstellung berücksichtigte das Thema Kleidung in einer eigenen Gruppe, wobei nur Frauen- und keine Männerkleidung vorgeführt wurde. In der Vorbemerkung des Sonderkatalogs wird explizit die Leistung des Deutschen Verbands für Verbesserung der Frauenkleidung hervorgehoben.[15] Der Verband stellte in Halle 55 eine umfangreiche Auswahl an Objekten aus: Strümpfe, Unterwäsche, verkleinerte Modelle mit verschiedenen Beispielen für Unterbekleidung, Strumpfhalter, Hutbefestigungen, Kleider und verkleinerte Kleidermodelle sowie Stoffproben.[16] Unter den gezeigten Kleidern waren neben Modellen für Anlässe vor allem Berufskleidung für Frauen. Die Teilnahme des Verbands wurden von den Veranstalter*innen sogar mit der Silbermedaille ausgezeichnet.[17] Die erfolgreiche Teilnahme an der Dresdner Ausstellung kann als ein Höhepunkt der Arbeit des Verbandes gelten.

Der Deutsche Verband benannte sich 1912 in Deutscher Verband für Neue Frauenkleidung und Frauenkultur um. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg lässt sich eine Verschiebung des Diskurses von einer Reform der Mode zur Suche nach einer politisch motivierten „deutschen Mode“ in Abgrenzung zum „französischen Modediktat“ feststellen. Während der Kriegsjahre engagierte sich der Verband an Hilfsaktionen des „nationalen Frauendienstes“. Nach dem Krieg machten sich die Verbandsmitglieder auch für das Frauenwahlrecht stark.[18]

Ende der 1920er-Jahren löste sich der Schwerpunkt des Verbands endgültig vom Thema (Reform)Mode und änderte damit auch seinen Namen, der seit 1929 Deutsche Frauenkultur lautete. Im 10-Jahresbericht der Dresdner Ortsgruppe von 1926 bis 1936 schrieb Friedel Gelbke von den Arbeitsgebieten Wohngestaltung, Förderung der Wertarbeit, Erziehung zu selbstschöpferischer Arbeit in Haus und Beruf, soziale Arbeit und von Fest- und Feierstunden. Im letzten Abschnitt berichtet die Autorin auch vom Tod der „innig geliebten und verehrten Vorsitzenden Ella Lau“[19], die am 3. Januar 1929 verstarb. Ihr Amt gab Ella Law 1928 an Dora Faass ab.[20]  Bis wann die Dresdner Ortsgruppe aktiv war, ist momentan noch nicht bekannt. Der 1973 aus der Deutschen Frauenkultur hervorgegangene Deutsche Verband Frau und Kultur e.V. ist heute noch aktiv und feierte im Corona-Jahr 2021 das 125. Jubiläum.[21] Seit 1993 gibt es wieder eine Dresdner Ortsgruppe unter dem Vorsitz von Elke Fischer.[22]

Abseits der Vereine für Verbesserung der Frauenkleidung und deren Folgeorganisationen setzten sich auch andere Frauen* für eine Reform der Mode ein. Eine wichtige Vertreterin der Modetheoretikerinnen und -designerinnen der Kleiderreform ist Anna Muthesius, die im Jahr 1903 ihr Buch Das Eigenkleid der Frau publizierte.[23] Die Wahlberlinerin wirkte auch in Dresden: Anna Muthesius referierte nicht nur für den Dresdner Ortsverein,[24] sie vertrieb ihre sogenannten Eigenkleider in Dresden Hellerau[25] und im Kaufhaus Renner, für dessen Sonderkataloge ihr Konzept den Titel prägte. Diese wurden nämlich unter der Überschrift Eigen-Kleid-Bericht[26] veröffentlicht. Im Eigenkleid-Bericht wurden in Anlehnung an die Vereinsmitteilungen Artikel über die Reform der Kleidung mit Werbung für Modelle, die im Kaufhaus Renner erhältlich waren, geschickt verflochten. Neben Muthesius werden weitere Designer*innen genannt, davon einige aus Dresden, beispielsweise Anna Schmidt, Johanna Dohrn, Helene Erfurth und Marie Mezger-Geldern.

Die Idee des Eigenkleids ergänzt die Forderungen des Vereinsfrauen* um wichtige modetheoretische Aspekte. Wichtig sind Muthesius zusätzlich zu den gesundheitlichen Schwerpunkten die Berücksichtigung der Individualität der Trägerin sowie Nachhaltigkeit. Sie kritisiert die schnellen Wechsel der Modetrends, die Frauen* zum ständigen Konsum nötigen und plädiert für eine zeitlose, individuell abgestimmte Garderobe, die am besten selbst entworfen und gefertigt sein sollte.[27] Diese Idee stellte sich natürlich als Utopie heraus, ist aber mit aktuellen Do-it-yourself-Trends vergleichbar. Da auch heute nicht alle in der Lage sind, selbst zu entwerfen und zu schneidern, fokussiert sich die momentane DIY-Bewegung mehr auf upcyclen, flicken und recyclen.

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[1] Daniela Richter-Wittenfeld: Die Arbeit des Verbandes für Deutsche Frauenkleidung und Frauenkultur auf dem Gebiet der Frauenkleidung von 1896 bis 1935, Hamburg 2006, S. 72.

[2] Dr. Sera Proelss, zitiert nach: Elisabeth Kessler-Slotta: 120 Jahre Deutscher Verband Frau und Kultur e. V. – 1896 bis 2016, in: Frau und Kultur 1 (2016), S. 3–8, hier S. 3.

[3] Vgl. Patricia Ober: Der Frauen neue Kleider. Das Reformkleid und die Konstruktion des modernen Frauenkörpers, Berlin 2005, S. 22.

[4] Vgl. Brigitte Stamm: Das Reformkleid in Deutschland, phil. Diss. Berlin 1976, S. 43.

[5] Leider war es bis jetzt nicht möglich, Unterlagen wie Mitgliederlisten des Dresdner Ortsvereins ausfindig zu machen. Die Vermutung liegt nahe, dass Vereinsunterlagen im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden. Möglicherweise existieren aber noch Unterlagen im Privatbesitz. Die verbliebenen Archivalien des Nachfolgerverbandes bewahrt das Archiv der deutschen Frauenbewegung Kassel auf: https://addf-kassel.de/fileadmin/user_upload/Bestaende/Findbuecher_NL-K/NL-K-30_Frau_und_Kultur_Findbuch.pdf (30.5.2022).

[6] Vgl. Richter-Wittenfeld: Die Arbeit des Verbandes für Deutsche Frauenkleidung und Frauenkultur, S. 75.

[7] Vgl. Ober: Der Frauen neue Kleider, S. 31.

[8] Vgl. Richter-Wittenfeld: Die Arbeit des Verbandes für Deutsche Frauenkleidung und Frauenkultur, S. 78.

[9] Vgl. ebd., S. 79 f.

[10] Vgl. o. A.: Beilage Verbandes- und Vereinsnachrichten, in: Die neue Frauenkleidung 3 (1907), o. S.

[11] Vgl. Richter-Wittenfeld: Die Arbeit des Verbandes für Deutsche Frauenkleidung und Frauenkultur, S. 292 f.

[12] Außerdem gab es in den Vereinsmitteilungen beigelegte und bestellbare Schnittmusterbögen zur eigenen Anfertigung von Reformkleidern.

[13] Vgl. Verein für Verbesserung der Frauenkleidung Dresden: Firmen-Verzeichnis, Dresden 1902.

[14] Vgl. o. A.: Beschlüsse und Anregungen der III. Deligiertenversammlung des Deutschen Verbandes für Verbesserung der Frauenkleidung, in: Neue Frauenkleidung und Frauenkultur 7 (1910), S. 58.

[15] Vgl. o. A.: Vorbemerkung, in: Sonderkatalog für die Gruppe Kleidung der Wissenschaftlichen Abteilung der Internationalen Hygiene-Ausstellung Dresden 1911, Dresden 1911, S. 5 f., hier S. 6.

[16] Vgl. ebd., S. 13–18.

[17] Vgl. o. A.: o. T., in: Neue Frauenkleidung und Frauenkultur 10 (1911), o. S.

[18] Vgl. Kessler-Slotta: 120 Jahre Deutscher Verband Frau und Kultur e. V. – 1896 bis 2016, S. 5.

[19] Friedel Gelbke: 10-Jahresbericht der Ortsgruppe Dresden, 1926/1936, 20.2.1936, in: Chronik des Verbandes Deutsche Frauenkleidung und Frauenkultur 1896-1929, o. S.

[20] Vgl. ebd.

[21] Vgl. Blog Verband Frau und Kultur, URL: https://frauundkultur.wordpress.com/2021/10/26/125-jahriges-jubilaum-von-frau-und-kultur/ (9.5.2022). Zusammenfassung der Vereinsgeschichte: Elisabeth Kessler-Slotta: 120 Jahre Deutscher Verband Frau und Kultur e. V. – 1896 bis 2016, in: Frau und Kultur 1 (2016), S. 3–8.

[22] Vgl. Elke Discher: Dresden (1897), in: Frau und Kultur 3 (2021), S. 24.

[23] Anna Muthesius: Das Eigenkleid der Frau, Krefeld 1903.

[24] Vgl. o. A.: Verein Dresden, in: Die neue Frauentracht 1 (1907), S. 12 f.

[25] Vgl. Klaus-Peter Arnold: Vom Sofakissen zum Städtebau. Die Geschichte der Deutschen Werkstätten

und der Gartenstadt Hellerau, Dresden 1993, S. 265.

[26] Martin Renner (Hg.): Renner’s Künstler- und „Eigen-Kleid-Bericht”. Erstes Sonder-Preisheft für „Renner’s Reform-Kleider”, Dresden 1908.

[27] Vgl. Muthesius: Das Eigenkleid der Frau, S. 9.